Texte zu meiner Arbeit
Martin Goerg – Gefäßobjekte

Als gelernter Scheibentöpfer bin ich schon lange mit der Erstellung von keramischen Gefäßen vertraut. Das Drehen auf der Scheibe erlaubt es mir, relativ schnell und einfach kontrollierte Formen anzufertigen. Deren Verhältnisse von Volumen, Höhe, Durchmesser, Größe der Standfläche oder der Öffnung, ihr Formverlauf, ob sich öffnend oder schließend, dieses sind alles Parameter, welche aufeinander wirken und die Erscheinung eines Gefäßes als Form bestimmen.
Damit umzugehen bestimmt ein Großteil meiner täglichen Arbeit, er schult mich permanent und verändert sich aber auch im Laufe der Zeit. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein spezifisch funktionales Gefäß handelt, oder um eine freie Gefäßform ohne praktische funktionale Zuordnung.
Die gedrehte Form dient und diente mir auch als Ausgangsform um weiter verändert zu werden: verformt, geschnitten und neu kombiniert, oder mehrere Teile montiert.

Dennoch sind mit dem Freidrehen auch Einschränkungen verbunden: die Tonmenge, welche kräftemäßig noch zu verarbeiten ist, beschränkt zum Beispiel die Größe. Ebenso sind ausschließlich die Erstellung konzentrisch, symmetrischer Formen möglich. Um diese Beschränkung zu durchbrechen, eignete ich mir während meines Studiums, parallel zur Anfertigung von freien Gefäßformen, die Technik des Aufbauens an. Damit habe ich die Möglichkeit durch das ständige hinzufügen von Tonmaterial auch große Körper zu erstellen. Allein das kontemplative Arbeiten über Tage an einer Arbeit ist zum einen eine besondere Herausforderung und aber auch letztendlich eine große Befriedigung. Auch hier wieder die Linien und damit die Form zu kontrollieren ist ein essenzieller Teil meiner Arbeit. Stattliche Volumen können entstehen, welche auch dem menschlichen ein adäquates Gegenüber darstellen. Ein weiterer Aspekt des Aufbauens ist, dass es mir die Möglichkeit gibt, von der Konzentrik abzuweichen und frei eine Form entstehen zu lassen kann. Diese kann sich heraus- oder zurücklehnen, ich kann Kanten mit einbauen und die Öffnung der Form kann seitlich in eine Richtung „schauen“, oder die Formen schließen sich komplett. Es bedeutet, mit dieser Arbeitsweise habe ich sämtliche Möglichkeiten und Freiheiten meine Formen langsam und Schritt für Schritt entstehen zu lassen. Einzig die Statik gilt es zu berücksichtigen. Gleichzeitig mit dem Herstellungsprozess beginnt auch die Bildung der Oberfläche, die durch die Fingerspuren und durch die rhythmische Arbeitsweise geprägt ist und jeder Arbeit einen eigenen Charakter gibt. Hinzu kommen dann tonige Schlicker, die aufgetragen werden. Die Konsistenz der Schlicker kann sehr unterschiedlich sein: mal sind es einfache Engoben, das heißt mit Wasser aufgeschlämmte Tonmehle, oder pastöse, dickere Schlicker, welche Schamotte in verschiedenen Körnungen enthalten. Ebenso können Gesteine oder ungemahlene Glasurfritten, die individuell als weitere Zusätze in unterschiedlichen und immer auch definierten Körnungen, beigemischt werden. Dieser gesamte Arbeitsprozess geschieht gegebenenfalls in mehreren Schichten, wahlweise aufgetragen mit den Fingern oder auch mit Pinseln oder Quasten. Dabei erzielt jeder einzelne Zusatz und auch jede unterschiedliche Auftragsart eine eigene Wirkung und so entstehen für jede Arbeit individuelle Oberflächen. Auch die Farbigkeit der Arbeiten definiert sich teilweise durch die Art der eingesetzten Tone, manchmal jedoch auch durch Zusätze von färbenden Metalloxiden oder keramischen Farbkörpern, welche aus diesen hergestellt sind. So arbeite ich zum Beispiel mit englischen Ballclays, die im Salzbrand warme orange-braune Töne entstehen lassen. Daneben verwende ich auch immer heimische, meistens hellbrennende westerwälder Tone. Ich setze Porzellane unterschiedlicher Herkunft ein, die sich besonders gut einfärben lassen, genauso aber auch pur in unterschiedlichen Konsistenzen aufgetragen werden können. Dabei habe ich auch die abweichende Schwindung der Tone und dem Porzellan im Blick, die dann kleine Schwindungsrisse erzeugen können und zur Charakteristik der jeweiligen Oberfläche beitragen. Die endgültige Fertigstellung der Arbeiten geschieht dann im Brand. Dies ist bei mir der reduzierende Steinzeugsalzbrand. Dieser Brand ist die traditionelle, jahrhundertealte Brennweise des Westerwaldes, meiner Heimat, in der ich auch meine keramische Ausbildung bekommen habe. Bei diesem Verfahren wird in der offenen Flamme gebrannt, früher mit Holz, ich brenne heute mit Flüssiggas. Reduzierend brennen bedeutet, dass der Flamme zu wenig Sauerstoff zur Verbrennung gelassen wird und sich diesen Sauerstoff dann aus der Oberfläche des keramischen Scherbens holt. Dabei entsteht eine tiefere Farbigkeit. Die Temperatur eines Steinzeugbrandes ist so hoch, dass die Scherbenbestandteile sintern, das heißt zusammenschmelzen und dadurch dicht gebrannt werden. Gegen Brandende mit Erreichen der Endtemperatur wird Steinsalz in den Ofen gegeben, welches in der Hitze verdampft. Das Natrium aus dem Dampf reagiert mit dem Silizium im Scherben und es entsteht eine Glasur. Ich verwende hierfür eine Sodalösung, die ich einsprühe. Dieses vermeidet dann den gleichzeitig entstehenden Salzsäuredampf. Mein Ofen ist ein Eigenbau, in dem ich seit meiner Selbständigkeit 1990 brenne. Er ist mit einfachen atmosphärischen Brennern bestückt. Diese bewirken lange, unverwirbelte Flammen, ähnlich der Holzflamme und leiten so die Salzdämpfe mit durch den Besatz. Hiermit entstehen auf den Stücken dann unterschiedlich intensive Reaktionen und somit Färbungen, je nachdem wie exponiert die Arbeiten den Dämpfen ausgesetzt sind. Das Setzen des Ofens ist damit also ein wichtiger und auschlaggebender Schritt für jedes Stück. Je nachdem welches Material auf der Oberfläche eines Stückes verwendet wurde, sollte es an entsprechender Stelle im Ofen sitzen, also mehr oder weniger stark den Salzdämpfen ausgesetzt sein. Daneben sollte auch der Besatz möglichst dicht sein, damit die Dämpfe entsprechend gezielter ihre Wirkung entfalten. Denn an den stärker „gesalzenen“ Partien entwickeln sich dann glasige und somit auch intensiver gefärbte Stellen. Ausschmelzungen durch die Zusätze in der Oberfläche treten aus. Die Flammspuren bleiben sichtbar. Die Stücke erhalten ihre individuelle, charakteristische Ausprägung. Dieses Zusammenspiel von meinen bewusst eingesetzten Arbeitsschritten mit der mehr oder weniger zufälligen „Arbeit“ des Ofens, die ich auch nach hunderten von Bränden nie ganz kontrollieren kann, ist das, was meine Arbeit für mich so reizvoll macht. Immer bleibt es spannend den Ofen zu öffnen, mache ich neue Erfahrungen, aus denen ich wieder Schlüsse für das nächste Mal ziehen kann. Diese Arbeitsweise, mit der neue Stücke entstehen, welche sich aus denen vorher weiterentwickeln, formal und schließlich in der ganz eigenen Ausprägung, ist das was mich durch meine gesamte Arbeit an meinen Werken leitet. Diese Suche nach dem vielleicht idealen Stück, diese Herausforderung immer wieder auch neue Proportionen auszuloten machen meine Arbeit für mich neu und so spannend. Manchmal stelle ich dann auch zwei oder auch mehrere Stücke zusammen, um sie in Relation zueinander zu setzten, um leichte Veränderungen sichtbarer zu machen und Spannung zu erzeugen. So eröffnet sich für mich ein weiteres Feld der Möglichkeiten.
Gefäße der Differenz
Über die Arbeiten des Keramikers Martin Goerg
Es sind Kontraste, neben- oder sogar auf- und ineinanderlegende Differenzen, die ein Werk ästhetisch anziehend machen. Mögen sie nun hart kontrastierend oder minimal unscheinbar sein: Spannung entspringt stets dem Unterschied. Verlangt wird vom Betrachter lediglich, daß er gleichsam sein Sensorium einstelle auf die jeweilige Differenzstärke des Materials: Gerade die feine Abweichung vermag, so man sie wahrnimmt, jenes geheimnisvolle Quäntchen Lust und Genuss zu verschaffen, über das Auskunft zu geben in der Regel misslingt. Noch die Monochromie oder Glätte einer Fläche zieht beim gemalten Bild das Auge an, Nuancen von Pinselstrich und Farbauftrag zu suchen, und lockt bei einer keramischen Oberfläche die Finger zur Berührung, zum Ertasten der Rauheiten, zum Erspüren der Körnungen und Unebenheiten des feuergehärteten Schmelzes. Fad bleibt und den Sinnen reizlos, was gleichförmig und eintönig – nichtssagend und tot, was unterschiedslos in sich selbst daherkommt. Und doch muss, wer in einem Werk Differenzen inszeniert, darauf bedacht sein, dass das Ganze die ihm innewohnenden Unterschiede zusammenhält: Wo gewissermaßen ohne Thema, grundlos Gegensätze zueinander gestellt werden, zerfällt die Einheit eines Werkes ins Unverbindliche.

Unverbrüchliches Grundthema des Keramikers Martin Goerg ist das Gefäß – im weitesten Sinne allerdings, denn seinen Arbeiten aus Steinzeug ist eine Funktion ohne weiteres nicht mehr zuzuordnen: Diesen voluminösen, walzenartig ausladenden, die Elementarform des Zylinders zumeist in leicht konischer Modulation variierenden, ganz selten quadrierten Keramiken eignet eine geradezu auratische Monumentalität, die sie, unabhängig von ihrem tatsächlichen Format, im Raum vereinzelt wie kultische Objekte: Sie scheinen in ihrer an Naturwüchsigkeit grenzenden Entschiedenheit den Raum auf sich zu beziehen, geradezu zu entleeren und durch diese vage doch vehemente Bedeutung von einem ganz bestimmten, aktuell aber nicht benennbaren Zweck zu zeugen. Mit ihrer großflächigen, fast abweisend groben Außenwandung, der nach dem harten Schulterumbruch die kleine, mattweißglänzende Innenmulde von geradezu absurd geringer Tiefe einliegt, wirken sie wie massive raue Körper, die das Thema des Gefäßes funktional auf ein Minimum reduzieren, es gerade noch anklingen lassen, um in solch radikaler Zurücknahme grundlegend formale wie materiale Eigenheiten des keramischen Gefäßes zu thematisieren und zu reflektieren.
Es ist die von keramischen Gegensätzen durchzogene materiale Präsenz, die die augenscheinlich unelegant und klotzig dastehenden Gefäßreflexionen Martin Goergs ungemein faszinierend macht. Obwohl aus Einzelformen gedrehte und montierte oder gebaute Doppelwandgefäße, demonstrieren sie durch ihre vorgebliche Massivität die Grundeigenschaft eines Gefäßes, als Körper selbst Raum im Raum zu beanspruchen. Durch den minimierten Hohlraum aber machen sie zugleich deutlich, dass ein Gefäß nicht nur Körper im Raum sein kann, sondern zugleich in sich einen aufnehmenden Raum eröffnen muss, der ein Gut, etwas von Wert zu bergen vermag. Um dieses Wesen des Gefäßes eigens hervortreten zu lassen, wird der Hohlraum hier minimiert, buchstäblich aus dem Inneren hervorgehoben und so in ein, von Gefäß zu Gefäß verändertes, an keinem Zweck orientiertes Verhältnis zur Gesamtform des Körpers gebracht. Gerade die irritierende Unnutzbarkeit dieses Residuums an Hohlraum zwingt zum Nachdenken über das Wesentliche des Gefäßes. Martin Goerg betont diese Grundeigenschaft noch mit der hart kontrastierenden Oberflächenbehandlung seiner Arbeiten. Die changierend monochrome Außenwandung des gesamten Körpers wurde mit einer Behautmasse aus Ton und groben Bestandteilen überzogen, aus der Quarz-, Basalt- oder Bimskörner im reduzierenden und gesalzenen Brand bei etwa 1250° C teilweise herausschmelzen oder aufbrechen und dem Ganzen die Anmutung von steinerner Borke oder anorganischer Verwitterung verleihen. Dem gegenüber und doch zentral einverleibt schimmert die feine trübweiße Feldspatglasur in der gefassten Preziosität des samtweichglatten Innenraumes: Inmitten der schrundig schweren Körpermaterie von schierer Natürlichkeit erscheint die edle Essenz einer raffinierten keramischen Kultur.
So sind es die innerhalb eines vergleichsweise engen formalen und technischen Konzeptes in unablässiger Variation fruchtbar abgewandelten Gegensatzpaare – Körper/ Raum, Innen/ Außen, groß/ klein, rau/ glatt, unedel/ edel, Natur/ Kultur, Zweckgebundenheit/ Autonomie –, die mit jeder dieser Keramiken die Grundfragen des zeitgenössischen Gefäßes aufrufen, sowohl seine Geschichte evozieren als auch seine Aktualität behaupten. Dies wahrzunehmen ist die Forderung, die an den Betrachter ergeht. Einfach wird es diesem dabei freilich nicht gemacht: Einem herkömmlichen Begriff von Schönheit durchaus entgehend erschließt sich der Reiz der Arbeiten Martin Goergs nur dem, der ihre materielle Differenzierung auch in Nuancen zu schätzen und ihre insistente Frage an das keramische Gefäß als Thema zu vernehmen vermag.

Dr. Walter Lokau, Bremen 2013